So vielfältig die Möglichkeiten für mobile Geräte im Unterricht sind, so wenig wird ihr wahres Potential genutzt, wenn sie als ein weiterer Baustein im Unterricht angesehen werden. Sie können darüber hinaus Motor einer Veränderung sein, denn sie bieten Schülern bisher nie geahnte Möglichkeiten und Freiräume an, die dazu in der Lage sind, das Schulsystem ins 21. Jahrhundert zu transformieren.
Ein Beispiel mag dies verdeutlichen.
Der Sonderschullehrer Jonathan Smith unterrichtete an einer Schule in Ohio, USA, Kinder der fünften und sechsten Klasse. Sie hatten große Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben und alle Versuche, ihnen dies schmackhaft zu machen, beschreibt der als wenig erfolgreich. »Sie hassten die Schule, sie hassten mich.« (youtu.be/-Kf_plW2RUM).
Nachdem ein kostenloses Werkzeug (iBooks Author) zur Erstellung von eBooks verfügbar war, beschloss er seine Schüler dazu aufzufordern, mit ihm gemeinsam ein eBook zu erstellen. Nach anfänglichen Irritationen ließen sich die Kinder darauf ein und erarbeiteten kollaborativ ein erstes eBook, dass sie ins Internet stellten und daraufhin Reaktionen aus der ganzen Welt erhielten (vgl. mrsmithtrt.weebly.com).
Es waren zwei Dinge, die zu einer positiven Veränderung führten: die Einfachheit, ein Buch zu erstellen und die Möglichkeit, es im Internet zur Verfügung zu stellen, wirkten auf die Schüler äußerst motivierend, sie sahen ihr Tun in der Schule als bedeutsam an und wurden weltweit wahrgenommen. Die öffentliche Sichtbarkeit des Erarbeiteten führte nicht nur zu einer höheren Motivation, sondern auch dazu, dass sie sich bei der Erstellung der Inhalte äußerste Mühe gaben. Jon Smith fasst seine Erkenntnisse folgendermaßen zusammen: »I believe students need to contribute more in the classroom. They need to be creating content and be a part of the learning process. They need to show us what they know and they need to be able to explain it.« (Smith, 2014)
Vom Konsumenten zum Produzenten
Das Beispiel von John Smith zeigt die Mächtigkeit, die durch einen Paradigmenwechsel zustande kommen kann, der aus den belehrten, mühsam zu motivierenden und wenig leistungsfähigen Schülern autonome Lerner werden lässt, die ihren Lernprozess selbst in die Hand nahmen, mit Begeisterung bei der Sache sind und deren Leistungen steigen. Smiths Schüler wurden zu Produzenten von Informations- und Lernmaterialien und lernten auf die Art und Weise die Inhalte ihrer Bücher intensiv kennen. Gleichzeitig erwarben sie die oben beschriebenen 21. Century Skills.
Learners as Designers
Das Konzept diese hier beschriebenen Learners as Designers-Ansatzes geht auf Pädagogen zurück, die sich schon in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit den Möglichkeiten, die Computer für das Lernen bieten, auseinandergesetzt haben.
So sah bereits Pea in Computern ein Potential, mentale Funktionen zu reorganisieren, ganz so, wie dies auch durch den Einsatz anderer analoger Kulturtechniken, wie das Schreiben von Texten der Fall war. In seinem Fazit fordert er 1985 die Entwicklung von Konzepten, die mit Hilfe von Technologien ein kreatives Lernen fördern, um auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten.
Jonassen & Reeves griffen Peas Ideen auf und stellen ihr Konzept von Technologie als Lernkatalysator gegen die damals verbreiteten behavioristischen Konzepte der Computer als Teaching Machines bzw. instruktionalistische Konzepte, bei denen Computern eine eher belehrende Funktion zukommt (»Technologies as conveyors of information have been used for centuries to „teach“ students« (Jonassen & Reeves, 1996, 693).
Besonders effektiv scheinen ihnen dabei die Ansätze des»Learners as Designers« zu sein (Jonassen & Reeves, 1996, 695). Denn wie sie. nachgewiesen haben, lernen die Ersteller von Expertensystemen oder Lernmedien im Prozess des Zusammentragens und der Artikulation des eigenen Wissens mehr als die Rezipienten ihrer Ergebnisse (Jonassen & Reeves, 1996, S. 695). Aus diesem Grund schlagen die Autoren eine Methode vor, die Lerner dazu anzuleiten, ihre eigenen Wissensrepräsentationen zu visualisieren. »It follows that empowering learners to design and produce their own knowledge representations and educational communications is a powerful learning experience.« (Jonassen & Reeves, 1996, 695)
Als mögliche Werkzeuge für die Wissensrepräsentation schlagen die Autoren Hypertexte und Spreadsheets vor, und stellen zusammenfassend fest: »In short, the real power of computers to improve education will only be realized when students actively use them as cognitive tools rather than passively perceive them as tutors or repositories of information.« (Jonassen & Reeves, 1996, 696)
Auch der HORIZON Report Higher Education 2013 verweist auf die Möglichkeiten, Tablets zur Medienproduktion einzusetzen (Johnson et al., 2013a, 16) und zwar unter der Nutzung sozialer Netzwerke in einer Lernumgebung, die das kollaborative Arbeiten und das Teilen von Informationen und Artefakten fördert.
Und der HORIZON Report K-12 2015 beschreibt als mittelfristige Entwicklung den Wandel von Schülern als Konsumenten hin zu Schülern als Produzenten. Dieser Wandel wird von mobilen Geräten unterstützt, weil die Realisierung durch sie wesentlich vereinfacht wurde, so dass die Auseinandersetzung mit den Inhalten im Vordergrund steht (»a whole new level of comfort with producing media« (Johnson et al., 2015, 140)).
Und sie beschreiben den grundlegenden Wandel, der dadurch stattfindet: »Many educators believe that honing these skills in learners can lead to deeply engaging learning experiences in which students become the authorities on subjects through investigation, storytelling, and production.« (Johnson, Adams Becker, Estrada, & Freeman, 2015b, 14)
Zum Verständnis der Bedeutsamkeit dieses Wandels dient das Konzept der Selbstbestimmungstheorie der Motivation von Deci und Ryan.
Die Autoren unterscheiden drei angeborene psychologische Bedürfnisse jedes Menschen: das Bedürfnis nach eigener Kompetenz oder Wirksamkeit, das Bedürfnis nach Autonomie oder Selbstbestimmung und das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit oder Zugehörigkeit.
Zudem unterscheiden die Autoren zwischen extrinsischer Motivation und intrinsischer Motivation. »Intrinsische Motivation beinhaltet Neugier, Exploration, Spontaneität und Interesse an den unmittelbaren Gegebenheiten der Umwelt« (Deci & Ryan, 1993, 225), während extrinisische Motivation durch Aufforderungen oder Belohnungen von außen erzeugt wird.
»Lernmotivation kann sowohl durch (äußere) Kontrollmechanismen als auch durch selbstbestimmte Formen der Verhaltensregulation erzeugt werden. Mit qualitativ hochwertigen Lernergebnissen ist v. a. dann zu rechnen, wenn die Motivation durch selbstbestimmte Formen der Handlungsregulation bestimmt wird.« (Deci & Ryan, 1993, 234)
Die Reduzierung von Kontrolle und Förderung der Autonomie, aber auch positive Beziehungen zu Mitschülern, Eltern und Lehrern, führen nicht nur zu einer nachgewiesenen Verbesserung von Lernergebnissen, sondern auch zu einer Erhöhung von Kreativität und fördern die Leistungsbereitschaft.
In ihrem Fazit fassen die Autoren die Bedingungen zusammen, die zu befriedigenden Lernerfolgen führen: »Wir sind überzeugt, daß optimales Lernen unmittelbar an die Entwicklung des individuellen Selbst geknüpft ist und gleichzeitig von der Beteiligung des Selbst abhängt. Eine Lernmotivation, die nicht den Prinzipien des individuellen Selbst entspricht, z. B. weil sie von außen aufoktroyiert wird, beeinträchtigt die Effektivität des Lernens und behindert zugleich die Entwicklung des individuellen Selbst. Umwelten, in denen wichtige Bezugspersonen Anteil nehmen, die Befriedigung psychologischer Bedürfnisse ermöglichen, Autonomiebestrebungen des Lerners unterstützen und die Erfahrung individueller Kompetenz ermöglichen, fördern die Entwicklung einer auf Selbstbestimmung beruhenden Motivation. Die Erfahrung, eigene Handlungen frei wählen zu können, ist der Eckpfeiler dieser Entwicklung. Entscheidend ist auch die eigene Wertschätzung des Handlungsziels auf der Basis intrinsischer oder integrierter extrinsischer Motivation. Im Gegenzug bewirkt die engagierte Aktivität des Selbst eine höhere Lernqualität und fördert zugleich die Entwicklung des individuellen Selbst. Verantwortlich für alle diese Prozesse sind letztendlich die sozialen Bedingungen, die das Bestreben nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit unterstützen oder verhindern.« (Deci & Ryan, 1993, S. 235 f.)
Auch die Theorien Albert Banduras wie die Theorie des sozialen Lernens (»Social Learning Theory« Bandura, 1971) und die der Selbstwirksamkeit (»Self-efficancy Theory«) (Bandura, 1977) stützen dieses Konzept.
So verdeutlichen die Theorien, warum das eigengesteuerte Lernen durch die Unterstützung von Tablets so effektiv ist, werden doch menschliche Grundbedürfnisse befriedigt und Lernen zu einer befriedigenden Erfahrung.